Tannenfeld war ein Schlösschen, das Dorothea von Kurland als Sommerresidenz und zu kulturellen Aktivitäten diente. Es verfiel nach ihrem Tod.
Gut fünfzig Jahre später gründete Arthur Tecklenburg auf dem Gelände ein typisches privates Sanatorium für „Nervenkranke“. Am Ende des 19. Jahrhunderts fingen Menschen nämlich an, am Fortschritt, an der Beschleunigung des Alltagsleben, überhaupt an der Moderne zu leiden. Als Krankheitsbild nannte man das „Neurasthenie“, wörtlich übersetzt: „schwache Nerven“. „American Nervousness“ war ein anderer Ausdruck. Gegen das Leiden an der Beschleunigung der Welt – eine frühe Form von Burnout? – sollte einerseits der Rückzug an einen schönen, stabilen, abseits gelegenen, strikt und überschaubar geregelten Ort helfen und andererseits neueste Technik in Form von Wasser- und Bädertherapie in verschiedensten Formen, Sportgeräten oder „Stromduschen“ mit belebenden, galvanischen Impulsen.
Aber Tannenfeld war nicht nur ein Ort für eingebildete Krankheiten, auch Menschen in psychischen Krisen (wie z.B. Hans Fallada) oder Patienten mit Drogenabhängigkeit wurden behandelt. Das ist kulturhistorisch interessant, denn die Krisen dürften mindestens teilweise auch Folge damaliger strikter sozialer Verhaltenscodes und Gefühlsunterdrückung gewesen sein. Fallada z.B. litt unter seinem strengen Juristenvater und seiner prüden Sexualmoral.
Morphium war eine moderne Droge, die sich rasant unter Ärzten ausbreitete, was andere Ärzte auf die Idee brachte, Morphinismus mit Kokain zu therapieren. An solchen Orten wie Tannenfeld dürfte die „Atmosphäre“ immer ein wichtiger Faktor gewesen sein, an so kleinen Häusern oft in Form einer familiären Umwelt. „Psychotherapie“ wurde auch gemacht, hieß aber nicht so, sondern geschah eher selbstverständlich und unstrukturiert.
In der DDR-Zeit war Tannenfeld dann eine kleine psychiatrische Klinik mit vergleichsweise „normalem“ Patientenspektrum , also Diagnosen wie wir sie heute noch kennen und die mit den damals üblichen Verfahren therapiert wurden.
Prof. Dr. med. Cornelius Borck, Institutsdirektor des MGWF | Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität Lübeck spricht zum Thema „Ein starker Ort für schwache Nerven: Das Kurhaus Tannenfeld, die Kulturgeschichte der Nervosität und die Psychiatrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts“. Anschließend führt Sie die Lokalhistorikerin Dorit Bieber durch das Gelände.
Wann? 30.09.2023 / 15:00 Uhr
Wo? Festsaal des Schlösschens - Tannenfeld . 04626 . Löbichau
Projekt Anders normal