Jahresprogramm 2022 erschienen

Das neue Jahresprogramm ist erschienen. Hier können Sie das Intro lesen, und wenn Sie auf das Titelbild klicken, klappt das Heftchen auf, und Sie können es am Bildschirm studieren. Fall Sie das Programmheft und gelegentlich andere Faltblätter zugeschickt haben wollen, lassen Sie uns Ihre Adresse zukommen! Unseren Newsletter können Sie hier abonnieren. Hier kommt das Vorwort:

Was ist normal?

„Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt! Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten!“ Diese Sätze wirft Wilhelm Tell dem Fährmann zu, der sich weigert, ihn bei Sturm und Wetter über den See zu rudern. Der Bedrängte ist er selbst. Der Satz ist nicht so sehr moralisch zu verstehen, sondern eine geschickte rhetorische Zuspitzung, die nichts anderes sagen will als: „Komm, fahr mich rüber!“. Dennoch wurde dieses Schiller-Zitat zu einer Devise, die jedem klassisch gebildeten Deutschen ins Stammbuch geschrieben wurde.

Auch die großen Weltreligionen sind sich einig. Der fromme Mensch denkt zuerst an andere. Eine der fünf Säulen des Islam ist die Unterstützung der Bedürftigen, auch „Zakat“ genannt. Das Judentum hält sich an die Formulierung „Liebe den Nächsten wie dich selbst!“ aus dem biblischen Buch Exodus. Und Jesus radikalisiert den Gedanken, wie es seine Art ist: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ Wir begegnen Gott in den Menschen, die auf uns angewiesen sind

In dieser Frage gibt es in unserer Gesellschaft keinen Konsens mehr. Wo die Esoteriker auf dem Vormarsch sind, steht die Freiheit des Einzelnen ganz oben. Wir haben es im Laufe der Corona-Abende des vergangenen Jahres schmerzhaft erfahren. Für die Gesundheit des anderen nehmen manche weder eine Impfung noch die Testung mit einem Wattestäbchen in Kauf. Die individuellen Freiheitsrechte werden nicht mehr durch Vernunft oder Barmherzigkeit begrenzt.

Eine „andere“ Normalität zieht da herauf. Zum Glück hat sie die Mehrheit der Bevölkerung noch nicht erreicht. In diesem Jahr wenden wir uns Menschen zu, die „anders“ normal sind. Psychische Krankheiten sind nicht länger Tabuthemen. Menschen bewegen sich mit ihren Angststörungen oder Depressionen in die Öffentlichkeit. Es gibt mehr seelische Stimmungen zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit euch träumen lässt, könnte man frei nach Shakespeare sagen.

Diesen gehen wir nach. Wir achten auf verletzliche Seelen und schwache Konstitutionen, weil wir unsere Welt durch sie vergrößern. Wer dem anderen Raum lässt, wächst selbst.

Pfarrer Dr. Frank Hiddemann, Leiter der Ökumenischen Akademie Gera Altenburg

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